Joshua

Obwohl ich meistens auch auf der Hut war, war ich nun doch tief und fest eingeschlafen, sodass ich erst wieder aufwachte, als ich ein Paar warmer Hände an meinen nackten Schultern spürte, woraufhin ich die Augen abrupt öffnete. Da ich recht nah bei dem Zellengitter eingeschlafen war, war es Fiona möglich gewesen hindurchzufassen und mich aufzuwecken. Trotzdem schaute ich die junge Frau im ersten Moment ein wenig verschlafen und verwirrt aus meinen verschiedenfarbigen Augen an, als ich auch schon Schritte hörte, die sich deutlich näherten. Und kurz darauf sah ich sie auch- sechs Männer in weißen Laborkitteln, die uns jetzt wohl zu ihren hirnrissigen Tests abholen würden. Ich rappelte mich auf, als auch schon die Zellentüren von Fiona und mir aufgeschlossen wurden und wir von jeweils zwei Laborkittelträgern unsanft aus unseren Zellen herausgezerrt wurden. Mein Blick wanderte kurz zu der jungen Frau, bevor ich tief durchatmete. Unser Weg führte uns aus dem Zellentrakt hinaus, anschließend durch einen langen Gang und schlussendlich in die riesige Halle, wo immer die Tests durchgeführt wurden. "Herzlich willkommen in deinem neuen Zuhause, Fiona" hörte ich Spencer sagen, während ich zu einem Stuhl gezogen wurde, auf den ich schließlich verfrachtet wurde. Vorerst zumindest.

Joshua

Ich unterdrückte das leicht dämliche Grinsen, das sich auf meine markanten Gesichtszüge schleichen wollte, nachdem Fiona den Laborkerlen ihre Worte triefend vor Sarkasmus entgegen gespuckt hatte. Kurzzeitig wandte ich den Blick ab, um mich wieder in den Griff zu kriegen. Fiona sollte das auch tun, bevor sie sich noch zu weit aus dem Fenster lehnte und Spencer und seine Gefolgschaft es schlussendlich noch als Aufforderung sahen sie hinauszuschubsen. Spencer schien es diesmal aber zu überhören, entweder gewollt oder ungewollt, spielte aber auch keine Rolle. War auf jeden Fall gut so, zumal er dann eh das Wort an Mr. Cooper weitergab, der erklärte, was das Mittel mit uns anstellen würde, was sie vorhatten uns zu spritzen. Mir hatten sie mittlerweile auch die Ledergurte an Armen und Beinen angebracht, wobei die nichts mehr nützen würden, sobald ich mich verwandelt haben würde. Trotz meiner umherschwirrenden Gedanken, was sie dieses Mal für verrückte Tests vorhatten, huschte mein Blick hinüber zu Fiona, deren Blick ich einzufangen versuchte. Schaffte ich nach einigen Momenten auch, zum Glück. Denn nur zwei Sekunden später und ich hätte ihr keinen gut zuredenden Blick mehr zuwerfen können. Einer der Kerle kam nämlich mit einer Spritze seitlich auf mich zu und stach mir die Nadel mit nicht gerade viel Vorsicht in den Oberarm, spritzte mir die Flüssigkeit in die Blutlaufbahn und schon nach wenigen Sekundenbruchteilen spürte ich, wie sich etwas in mir zu regen begann. Etwas uraltes, etwas, das ich auf diese Art und Weise noch nie oder zumindest noch nicht oft verspürt hatte. Meine Gedanken erloschen, stattdessen waren es nun viel primitivere Dinge, die sich in meinem Kopf breitmachten. Kurz darauf setzte die Verwandlung ein, mir wuchsen Federn und ich bekam einen scharfen, nach unten gebogenen Schnabel, während sich meine Arme zu riesigen Flügeln verformten.

Joshua

Die Wissenschaftler in ihren reinweißen Laborkitteln hatten sich längst hinter ihre gläserne Wand verbarrikadiert. Wahrscheinlich hatten sie Angst, selbst was abzukriegen. Nicht nur wahrscheinlich, sondern sehr sicher sogar. Wer wollte schon was abbekommen, wenn sich zwei unberechenbar gemachte Wesen sich zum Schluss noch fetzten? Würde ich auch nicht wollen, auch wenn ich mir gerade durchaus wünschen würde, dass sie in Reichweite wären. Sie hätten es verdient, zumindest ein paar Kratzer abzubekommen.
Ein hohes Kreischen verließ meine gefiederte Kehle und meinen spitzen Schnabel, bevor ich mich von dem Stuhl löste und mich mit federnden Flügelschlägen abstieß. Fiona- nun in Wolfsgestalt- war mir längst ins Auge gefallen. Irgendwas sagte mir, dass von der Wölfin Gefahr drohte. Warum konnte ich nicht sagen, aber mich hatte schlichtweg dieses Gefühl überfallen, das sich auch schlagartig in mir festgesetzt hatte. Ich kreiste einige Male über ihr- was die hohe Halle ja ermöglichte- bevor ich einige Meter von ihr entfernt zum Landen ansetzte. Ich landete auf dem Boden, schlug dann die Flügel über dem Rücken zusammen und beobachtete die Wölfin mit meinen aufmerksamen Vogelaugen.

Joshua

Zuerst beachtete mich die Wölfin gar nicht wirklich, sondern streifte an der Glaswand entlang, hinter der die Wissenschaftler hockten. Allerdings dauerte es nicht mehr lange, bis ich dann doch offensichtlich ins Visier genommen wurde. Ich starrte mit meinen bunten Vogelaugen zurück, plusterte mich ein wenig auf. Die innere Stimme in mir sagte mir, dass Wölfe Feinde waren. Scheinbar dachte die Wölfin gerade ernsthaft darüber nach, mich anzugreifen- warum auch immer. Und dann griff das pelzige Vieh mich tatsächlich an, nachdem es immer weiter in meine Richtung gekommen war. Schlagartig breitete ich meine großen Schwingen aus, schlug mit meinen Flügeln ein paar Mal und war damit schon ein Stück weit vom Boden abgehoben, wobei der Wolf seinen Angriff wohl nicht erfolglos beenden sollte. Er erwischte mich noch mit der Tatze am Bein, noch ehe ich außer Reichweite gelangen konnte. Ich verlor das Gleichgewicht, strauchelte in der Luft und versuchte den Hieb mit den Flügeln auszugleichen, aber jetzt fehlte mir der Schwung, damit ich schnellstmöglich von der Wölfin wegkam. Irgendwie schaffte ich es mich mit dem Schnabel in seinem Rückenfell zu verbeißen, während ich wild mit den Flügeln schlug.

Joshua

Die Wölfin konnte so viel nach mir schnappen wie sie wollte, sie würde mich nicht erwischen. Tat sie auch nicht. Was sie dann allerdings tat, ließ mich ein spitzes Greifvogelkreischen ausstoßen, als das Raubtier sich auf die Seite warf, sich drehte und mich somit unter sich begrub. Ich musste gezwungenermaßen von der Wölfin ablassen, während ich vergeblich mit den Flügeln peitschte, aber der Wolf war zu schwer, als dass ich ihn hätte von mir runterdrücken können. Mein Glück war allerdings, dass die Wölfin dann von irgendwas abgelenkt wurde, kaum, dass sie aufgestanden war und von mir abgelassen hatte. Sie schien mich regelrecht vergessen zu haben, was meine Chance war- ich rappelte mich auf, hüpfte kurz und stieg dann mit großen Flügelschlägen in die Lüfte hinauf, weg von dem bissigen Hundevieh. Aufgegeben hatte ich jedoch nicht- ich drehte einen Runde, dann stürzte ich im Sturzflug hinab in Richtung der Wölfin, die noch immer abgelenkt war. Angriffslustig kreischend stieß ich auf sie herab und startete im Flug Angriffe auf sie.

Joshua

Dass die Wölfin so abgelenkt war, irritierte mich. Die Wissenschaftler bemerkte ich daher auch erst kurze Zeit später, als sie schon auf das Raubtier und mich zugelaufen gekommen waren. Ich ließ von der Wölfin ab und flog eine Kurve, bevor ich wieder nach oben flog, weg vom Boden, weg von dem Wolf und vor allem weg von den Männern, die mit den Spritzen in den Händen eindeutig eine Bedrohung waren. Seltsamerweise fühlte es sich nicht richtig an, dass ich nichts tat, als die Kerle die Wölfin in die Ecke trieben, weshalb ich kurzerhand zum Sturzflug ansetzte und einen der Männer nach dem anderen mit Krallen und Schnabel attackierte. Sie versuchten mich zu fassen, schafften es aber nicht. Trotzdem waren da die Spritzen, mit denen sie mich zu erwischen versuchten, bis jetzt schaffte ich es aber auszuweichen. Die Frage blieb nur wie lange noch, denn wenig später tauchte ein siebter Mann auf, der ein Gewehr in der Hand hielt- vorn drin ein Pfeil, der wohl nichts Gutes verheißen konnte.

Joshua

Die Menschen waren wie Ameisen, irgendwie hörten sie nicht auf von der Wölfin abzulassen. Und je öfters ich sie aus der Luft angriff, umso wachsamer wurden sie auch in dieser Hinsicht. Kein Wunder, dass es nicht lange dauerte, bis einer mit einem Gewehr in die riesige Halle kam, das irgendeinen Pfeil vorne geladen hatte. Kreischend ließ ich von den Wissenschaftlern ab, die mittlerweile über die Wölfin hergefallen waren, die sich schlussendlich sogar geschlagen geben musste. Ich sah gerade noch, wie sie ihr die Spritze in die vom Fell umgebene Haut rammten, ehe sie wenig später bewusstlos in sich zusammensackte. Ich spürte, wie mir das Herz gegen den Brustkorb klopfte, während ich möglichst schnell möglichst hoch flog, um außer Reichweite zu kommen. Warum auf einmal ein leichtes Stechen durch meinen Körper zuckte, verstand ich erst nicht, da es relativ schnell wieder aufhörte, aber bereits nach einigen Sekunden spürte ich, wie meine Flügel immer schwerer und schwerer wurden. Es war mühsam, immer wieder Flügelschläge zu machen, um mich in der Luft zu halten. Als ich mit meinen Adleraugen an mir herabschaute, erkannte ich auch warum- in meinem Flügelansatz steckte ein kleiner Pfeil, von dem auch der leicht pochende Schmerz ausging. Der einzige Gedanke, den ich jetzt noch hatte, war, dass ich so schnell wie möglich auf den Boden kommen musste, bevor ich wie ein Stein vom Himmel fiel und mir zum Schluss noch alles brach. Augenblicklich setzte ich zum Sturzflug an und nur wenige Meter von dem Boden entfernt fing ich an mich zurückzuverwandeln. Meine Flügel wurden zu Armen und ich fand in der Luft keinen Halt mehr.

Joshua

Was geschehen war, nachdem ich auf dem Boden aufgekommen war, wusste ich nicht. Ich erinnerte mich nicht einmal mehr daran, wie ich überhaupt auf dem Boden aufgekommen war, ob die Rückverwandlung da schon abgeschlossen war oder ob ich da noch halb Vogel, halb Mensch gewesen war. Jegliche Erinnerungen daran waren wie ausgelöscht, als ich langsam aber sicher wieder zu mir kam und meine Gedanken wieder ihren normalen Lauf einnahmen. Ich fühlte mich, als hätte ich am Vorabend zu viel getrunken und müsste jetzt erstmal wieder ausnüchtern. Oder als hätte man mich mit irgendwelchen Drogen vollgepumpt, wobei das noch nicht einmal so unwahrscheinlich war- wer wusste schon, was in den Spritzen für Zeug war, das die Wissenschaftler uns da verabreichten.
Kaum, dass ich die Augen öffnete, durchzuckte mich ein furchtbar stechender Schmerz, wobei ich in dem Moment nicht sagen konnte, von wo genau er kam. Ich keuchte auf, versuchte mich zu krümmen, aber die Fesseln an meinen Händen und Füßen erlaubten mir nur winzig kleine Bewegungen. Nein. Nicht diese Art von Test! Meine verschiedenfarbigen Augen huschten durch den Raum, bis sie an Fiona hängenblieben, die gegenüber von mir ebenfalls auf eine Art Liege gefesselt war. Scheinbar war bei ihr noch nichts passiert. Ich spürte, wie mein Puls sich beschleunigte, wobei ich meinen Blick dann abwandte und zu den Gerätschaften und Maschinen neben mir wandte. Als ich allerdings sah, dass ich am Tropf hing und mir dadurch irgendeine Flüssigkeit eingeflößt wurde, packte mich eine Art Wut, gleichermaßen aber auch die Panik. Sie würden tatsächlich testen, wie hoch die Schmerzgrenze war und wie weit sie dadurch gehen konnten, um unsere Verwandlung zu unterdrücken.