Ivory

Es wurde schwerer mit Jax mitzuhalten, als er das Tempo plötzlich erhöhte. Ich wusste, wie berauschend es war, das erste Mal in dieser Gestalt durch den Wald zu laufen. Das alles hier war neu für ihn, und für mich fast schon alltäglich. Deshalb fiel es mir auch leichter, alles andere auszublenden und mich voll und ganz auf Jackson zu konzentrieren. Aber ich wusste auch, dass man sich nicht hinreißen lassen durfte und dass es wichtig war, sein Leben - sein menschliches Leben - unter Kontrolle zu haben und nicht einfach zu vernachlässigen.
Ich konzentrierte mich auf ihn, gab mich meinen Instinkten vollkommen hin. Als ich plötzlich sein weiß-braunes Fell entdeckte, spornte mich das nur noch mehr an. Ich sprintete die letzten Meter auf ihn zu, setzte zum Sprung an und fuhr die Krallen aus. Mit einem lauten Knurren setzte ich auf ihn zu, erwischte jedoch nur seine Flanke. Ich landete gerade noch so auf allen Vieren und drehte mich in einer geschmeidigen Bewegung wieder Jax zu. Ich musste ihn unter Kontrolle bringen - oder vielmehr, er musste sich unter Kontrolle bringen. Mein Körper bebte und ich legte die Ohren an, hielt mich nah am Boden und fletschte meine Zähne.

Ivory

Es war anders als alles, was ich bisher erlebt hatte. Ich hatte keinerlei Erfahrung damit, Wandler die nicht meinem Rudel angehörten, unter Kontrolle zu bringen. Ich könnte mich ihm einfach ergeben in der Hoffnung, er würde sich dann beruhigen würde und wieder seine menschliche Gestalt annahm, ohne mich ernsthaft zu verletzen. Oder aber ich forderte es heraus. Ich persönlich war für letzteres. Ich verließ mich auf meine Instinkte und schaltete alle menschlichen Überbleibsel aus. Er beschränkte sich auch nur auf seine animalische Intuition, und ich konnte nicht riskieren, dass das zu seinem Vorteil wurde.
Ich hielt meinen Körper eng an den Boden gepresst, um Bisse und Kratze an der Magengrube zu vermeiden. Geschickt verlagerte ich mein Gewicht auf die Hinterbeine, um schnell in Deckung springen zu können oder zum Angriff auszuholen. Aufmerksam beobachtete ich jede seiner noch so kleinen Bewegung, spannte jede Faser meines Körpers an und bleckte die Zähne. Augenblicklich schnappte ich nach seiner Kehle, dann nach seinen Beinen, bevor ich schnell einen Satz zurück machte. Ich musste einen Weg finden, die Oberhand zu gewinnen.

Ivory

Als sich seine Pfote meinem Gesicht näherte, wich ich gekonnt aus. Leider hatte ich Jax unterschätzt, denn im nächsten Augenblick trat der Werwolf meine Flanke und ich machte widerwillig einen gequälten Laut, bevor die Wut wieder in mir aufstieg und den stechenden Schmerz übertönte. Ich musste meine Taktik ändern und versuchen, ihn so schnell wie möglich so zu verausgaben, dass er gar nicht anders konnte als sich wieder in seine menschliche Gestalt zu verwandeln. Wenn ich das nicht schaffen würde, ohja, dann würde das hier ein wirklich langer Tag werden.
Blitschnell fuhr ich herum und schnappte nach ihm als er sich hinter mich platzierte, verlagerte mein Gewicht auf meine Hinterpfoten und versuchte auf ihn zu springen und ihn grob zu Boden zu reißen.

Ivory

Mir war bewusst, dass er nun versuchen würde, mir in die Kehle zu beißen. Aber das Risiko musste ich eingehen, um ihn ruhig zu halten. Ich ließ nicht von ihm ab, versuchte aber auch nicht, nach ihm zu schnappen. Mein einziges Ziel war es, Jax dazu zu bringen, sich wieder zurück zu verwandeln. Das ganze war unglaublich kompliziert. Aber hätte er sich jetzt nicht seinem neuen Ich hingegeben, wäre das vielleicht in einer Menschenmenge passiert, und das wäre zueiner endlosen Katastrophe geworden. Mich schauderte es schon alleine bei dem Gedanken daran. Es war sicher schwer für ihn, sich jetzt auch noch seinem natürlichen Gegner unterzuordnen, aber anders ging es einfach nicht. Jax musste sich damit abfinden, dass ich die einzige war die ihm helfen konnte und auch bereit dazu war.
Ich blickte ruhig auf ihn herab. Ich ließ ihn nicht los, stieß stattdessen ein warnendes Knurren aus. Er sollte begreifen, dass jetzt Schluss damit war.

Ivory

Kritisch beäugte ich den Wolf unter mir. Als er sich wegrollte, machte ich einen Satz zu Seite und setzte mich hin. Ich hasste es jetzt schon. Vermutlich wollte er meine Hilfe nicht einmal, aber irgendjemand musste das machen. Und da sein Erzeuger anscheinend außer Reichweite war, nun.. Wenn wir wenigstens derselben Rasse angehören würden. Innerlich seufzte ich und hoffte, dass damit der schwierigste Teil geschafft war.
Jax verwandelte sich zurück und ich tat es ihm gleich. Das war anstrengender als ich vermutete, aber das einzige was mich wirklich störte war der Schmutz auf meinen Körper und die Schmerzen in meiner Flanke. Dort, wo Jax mich zuvor erwischte hatte. Ich zog das Top ein wenig hoch um zufrieden zu sehen, wie sich die kleinen Kratzer von selbst wieder schlossen.
"Ob du es willst oder nicht interessiert mich nicht", richtete ich meine Worte an ihn, "Ich werde dir helfen, dich zu kontrollieren. Normalerweise würde das dein vollkommen dämlicher Erzeuger machen, aber der hatte wohl keine Lust darauf. Und da es hier im Umkreis auch kein Wolfsrudel gibt, musst du mit mir leben müssen."

Ivory

Ich seufzte leise. Das Adrenalin entwich allmählich meinem Körper und ich setzte mich stumm neben Jax auf den Boden, zog die Knie an und schlang meine Arme um diese. Vielleicht war ich einfach zu grob und ging das alles viel zu schnell an. Immerhin bekam ich nicht mal im entferntesten eine Antwort, kein Mhm oder derartiges, nicht mal ein Nicken. Ich seufzte leise, kaute wie gewohnt auf meiner Unterlippe herum und schloss für einen Augenblick die Augen. Ich fragte mich ob das wohl sein Grund für den Umzug hierher war. Jax schien niemanden gehabt zu haben der ihm erklärte was mit ihm geschah, geschweige denn ihm Glauben schenken würde. Jeder Arzt hätte ihn wohl für vollkommen irre gehalten.
Bei mir ist das alles ganz anders abgelaufen. Ich hatte Leute um mich rum, die mir halfen damit umzugehen, die zu mir gehörten. Aber ich war mehr Jax' natürlicher Feind als alles andere. "Also, wenn du Fragen hast, dann.. Frag einfach", murmelte ich zögerlich und sah ihn an. "Lass dir Zeit damit. Ich kann mir kaum vorstellen, wie das jetzt für dich sein muss", fügte ich hinzu. Nach wenigen Minuten stand ich dann auf. "Lass uns gehen, ich versauere eher ungern im Wald", sagte ich wieder etwas lauter und blickte zu ihm runter.

Ivory

Ich legte den Kopf leicht schief. "Du kannst auch so geboren werden", informierte ich ihn, "aber öfters passiert es durch einen Biss." Es beruhigte mich dass er jetzt anfing, ein paar Fragen zu stellen. So machte er es auch mir leichter ihm zu helfen. Ich hoffte nur, dass mein Rudel es verstehen würde, wenn ab und zu etwas mehr Zeit mit Jax verbrachte. Ich betrachtete ihn fast schon voller Mitleid. Er wirkte auf mich so verloren, dass ich ihn am liebsten in meine Arme geschlossen hatte.
Bei seiner nächsten Frage biss ich mir instinktiv auf die Unterlippe. "Ja, aber soweit ich weiß nur mein Rudel. Die wirst du sicherlich noch früh genug kennenlernen", murmelte ich. Ehrlich gesagt wurde mir schon schlecht bei dem Gedanken den Anderen mitzuteilen, dass sich Bretts Verdacht bestätigte. "Sie gehören zu den Raubkatzen. Ich glaube leider nicht dass sich hier irgendwo ein Wolfsrudel aufhält", fügte ich hinzu. Dass die anderen nicht so begeistert von ihm sein würden wollte ich ihm jetzt nicht auch noch auf die Nase binden. Wahrscheinlich konnte er sich das aber schon denken.

Ivory

Ich merkte, dass das hier wohl noch etwas dauern würde. Ich setzte mich erneut neben ihn und zögerte zuerst, berührte dann doch flüchtig mit meiner Hand seine Schulter. "Tut mir Leid. Es ist nur, ich kann mir nicht vorstellen, wie du dich gerade fühlst.. Aber ich werde versuchen dir zu helfen so gut ich kann", sagte ich ernst. Ich wusste nicht mal, wieso mir plötzlich so viel daran lag. Eigentlich hätte ich ihm nur das Wichtigste zeigen müssen, der Rest war nicht mein Problem. Aber das wollte ich ihm nicht antun. Im Gegenteil; Ich wollte ihm von mir selbst aus helfen, nicht aus irgendeinem Pflichtgefühl heraus.
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich denke nicht, dass sie dich sonderlich lieben werden", antwortete ich mit einem halben Lachen auf den Lippen. "Nimm es ihnen nicht übel. Wölfe und Raubkatzen sind nunmal nicht das, was man natürliche Freunde nennt". Ich strich mir eine Haarsträhne zurück hinters Ohr. Ein Grinsen schlich sich unwillkürlich auf meine Lippen. "Feen und Elfen bezweifle ich", meinte ich amüsiert, "Aber bei Vampiren bin ich mir nicht mal so sicher." Das war eine ziemlich gute Frage. Nachdenklich runzelte ich die Stirn, schüttelte dann aber den Kopf. "Konzentrieren wir uns erstmal auf Gestaltwandler. Wenn Vampire oder sowas zum Thema werden, sag ich dir Bescheid", scherzte ich und lächelte ihn zaghaft an.