Lucie

Ich war wohl eine der wenigen, die sich auf die Schule gefreut hatte. Nicht nur, weil ich dann wieder meine Freunde zu Gesicht bekam- endlich!- sondern auch deshalb, weil ich doch auch einfach ein wenig wissbegierig war und an so manchen Fächern meine Freude gefunden hatte. Am allermeisten freute ich mich wohl aber darauf, Jax wieder sehen zu können. Den jungen Mann hatte ich nun schon eine ganze Zeit lang nicht mehr gesehen, ich hatte lediglich über das Mobiltelefon Kontakt mit ihm gehabt in den letzten Monaten. Denn erst war ich mit meiner Familie im Urlaub gewesen, dann er. Also waren unsere gemeinsamen Nachmittage und so weiter leider ein wenig zu kurz gekommen.
Als die Schulglocke ertönte und das Ende des ersten Schultages einläutete, lief ich mit meiner neuen Sitznachbarin nach draußen und unterhielt mich noch ein wenig mit ihr, ehe ich mich von ihr verabschiedete und den langen Flur entlang lief, da Jackson wohl- soweit er mir das per Nachricht mitgeteilt hatte- am anderen Ende der Schule war. Ich kämpfte mich also durch die mir entgegen kommende Menge an Schülern und blieb irgendwann kurz stehen, um nach dem jungen Mann Ausschau zu halten. Und tatsächlich: lässig an eine Wand gelehnt fand ich ihn dann auch, weshalb sich ein freudiges Lächeln auf meine Gesichtszüge schlich und ich lachend zu ihm rannte, nur um ihm dann regelrecht um den Hals zu fallen. „Jax!“ lachte ich und ließ ihn dann nach einigen langen Sekunden wieder los, knuffte ihm in die Seite. „Du hättest dich ja ruhig mal ein wenig öfters melden können. Für was hast du denn so ein olles Teil, hm?“
Es war wirklich schön ihn wiederzusehen und nun auch hoffentlich wieder viel Zeit mit ihm verbringen zu können. Immerhin mussten wir die versäumte Zeit ja irgendwie wieder aufholen, nicht? Doch. Da war es doch wirklich eine gute Idee, sich ein wenig in ein Café zu setzen und über dies und das zu reden. Es dauerte auch gar nicht allzu lange bis wir uns in einem Café wiederfanden und uns gegenüber saßen. „Und, wie war dein Urlaub?“ quetschte ich ihn aus, knabberte an dem Keks, der beim Kaffee dabei gewesen war.

Lucie

Was hatte ich auch anderes erwartet? Natürlich bekam ich mal wieder so eine Antwort auf meine Frage hin. Also was das betraf war er wirklich nicht redselig- wobei ich das eigentlich auch nicht war, zumindest war ich niemand, der alle anderen in Grund und Boden redete. „Na immerhin scheint der Hai dir mal nichts abgeknabbert zu haben“ erwiderte ich leicht lachend und nippte dann vorsichtig an meinem Kaffee, da ich nicht wirklich darauf erpicht war mich an dem heißen Gesöff zu verbrennen. „Meine waren eigentlich ganz schön, auch wenn ich mir wohl ein wenig mehr Sonne gewünscht hätte. Aber man kann ja nicht alles haben..“ antwortete ich ihm, nachdem ich meine Kaffeetasse wieder abgestellt hatte, und zuckte leicht mit den schmalen Schultern.
Kurz nachdem ich geendet hatte, kam auch schon die Bedienung mit Jax' Schokoladenkuchen, wobei ich ja wohl ziemlich unaufmerksam und völlig abweisend sein müsste, wenn mir dieser Blick entgangen wäre. Auffälliger ging's ja wohl nicht. „Jahaaax. Pass bloß auf, dass deine Augen nicht aus den Augenhöhlen fallen..“ zog ich ihn schmunzelnd auf, lehnte mich im Stuhl ein wenig zurück und lauschte seinen nächsten Worten, die mir doch zugegebenermaßen ein Augenverdrehen entlockten.
Kleine Streberin? Also aufs Lernen direkt hatte ich mich nicht gefreut, vielmehr auf die neuen Dinge, die man dann so im Unterricht über dies und das erfahren würde. Ich fand das einfach interessant. War halt nicht jeder so wie ich, die meisten fanden Schule langweilig. Klar, ich würde manchmal auf viel lieber etwas anderes tun, aber soo schlecht war die Schule nun auch wieder nicht. Immerhin lernte man da ja auch was fürs Leben. „Es kann eben nicht jeder schlafend im Unterricht sitzen. Und ja, ich hab mich gefreut. Zumindest ein kleines bisschen“ erwiderte ich und verdrehte die Augen, ehe ich meine Finger ein wenig gedankenverloren über eine Blumenvase streichen ließ. Naja, zumindest dachte ich, dass es eine Blumenvase war. Das Teil sah irgendwie ziemlich speziell aus und war ein wenig verschnörkelt, lief zur Öffnung hin spitz zu und naja.. sah eher wie eine neumodische Form einer Öllampe aus. Nur in eine Vase umfunktioniert. Ich erschrak ziemlich und wurde somit auch aus meinen Gedanken gerissen, als ich ein seltsames, ploppendes Geräusch vernahm und aus der Vase etwas wie Nebel oder Rauch aufstieg. „Was..?“ quiekte ich leise, aber erschrocken und zog meine Finger ruckartig zurück, während ich mit geweiteten Augen dabei zusah, wie sich die Nebelschwaden zu einem kleinen Etwas formten..

Lucie

Am liebsten hätte ich ja angefangen zu schreien. Sollte das etwa ein schlechter Scherz sein? Nein, das konnte es nicht sein. Denn vor einigen Wochen im Urlaub mit meiner Familie war mir schon einmal so ein komisches Geisterwesen erschienen. So langsam aber sicher schien alles irgendwie Sinn zu ergeben: die ganzen komischen Geräusche die mich manchmal regelrecht zu verfolgen schienen, genauso wie die ganzen Situationen, in denen ich geglaubt hatte, dass ich jemanden irgendwo oder in irgendetwas gesehen hatte. Und nun in letzter Zeit häuften sich diese ganzen seltsamen Ereignisse. Wurde ich nun verrückt? Ich hoffte es nicht. Aber meistens passierten diese eigenartigen Dinge nur, wenn meine Emotionen mit mir durchgingen- wenn ich traurig war, wenn ich wütend war, wenn ich mich über etwas freute. Ich hatte niemandem von diesen Erscheinungen erzählt, bis jetzt war mir so etwas auch noch nicht in Anwesenheit anderer passiert. Dass es ausgerechnet jetzt passierte, wo ich mit Jax zusammen war.. Meine Vermutung rührte jedoch daher, dass all diese Dinge nicht.. natürlich waren. Sie waren mehr versteckt, mehr im Verborgenen. Und ziemlich.. nunja.. von Geistern behaftet. Ich hatte keinen blassen Schimmer wie und warum, aber mir kam es beinahe so vor, als würde ich diese blassen Wesen magnetisch anziehen. Und ich war mir nicht sicher, ob ich nun tatsächlich verrückt wurde, oder ob das wirklich war.
Meine blauen Augen waren regelrecht auf die neumodische Öllampe fixiert, während sich der Nebel irgendwie ziemlich rapide abkühlen zu schien und mit ihm auch die gesamte Umgebung. Dass Jax vor meinem Gesicht herumfuchtelte bemerkte ich in dem Moment gar nicht, so fixiert war ich auf das kleine durchscheinende Wesen, das sich aus dem Nebel herauskristallisierte. Es nahm immer mehr Form an und wenige Sekunden später erkannte ich einen kleinen Dschinn- zumindest sah er so aus, wenn man sich an Märchen mit Öllampen und Dschinns erinnerte. "Du hast mich gerufen? Ist ganz schön staubig da drin!" meinte der kleine Dschinn mit leiser, recht hoher Stimme und schaute mich aufmerksam an, ehe ich mich aus meiner Starre löste und mit dem Kopf schüttelte, kurz die Augen schloss. Als ich sie aber wieder öffnete, war der Geist immer noch da. "Verschwinde.." murmelte ich leise, als ich den starrenden Blick von Jax auf mir bemerkte.

Lucie

Als der junge Mann mir gegenüber anfing mit mir zu reden, schreckte ich auf und wandte ihm meinen Blick zu, wobei ich dann doch noch einige Sekunden brauchte um verstehen zu können, was er gerade zu mir gesagt hatte. Ich blinzelte ein wenig, schaute nochmal kurz zu der öllampenartigen Vase hinüber, wie um nachzusehen, ob das gerade alles nur ein Traum gewesen war. War es aber nicht gewesen. Der kleine Dschinn war immer noch da, schwebte über seinem.. Zuhause und guckte mich mit seinen großen Augen aufmerksam an. Ich öffnete die Lippen einen Spalt weit, wollte schon etwas zu dem Geist sagen, vermied es dann aber und schloss die Lippen stattdessen wieder. Jax dachte sicherlich schon, dass ich einen an der Klatsche hatte.
Ich wandte meinen Blick wieder dem jungen Mann zu, seuzfte dann leise und spielte nervös an meiner Kette herum. "Ich.. nein.. Tut mir Leid, ich hab eigentlich nicht.. dich gemeint.." Okay, spätestens jetzt musste er ja denken, dass ich völlig verrückt geworden war. Aber was hätte ich auch schon sonst sagen sollen? Ich wollte nicht, dass er ging.. er war mein bester Freund, ich wollte ihn doch nicht wegscheuchen..
Und dann kam auch schon die nächste Frage: ob es mir gut ging, wollte er wissen. Ging es mir denn gut? Also krank fühlte ich mich nicht, aber ehrlich gesagt fühlte ich mich auch nicht recht wohl in meiner Haut. "Ja.. ich denke schon.." flunkerte ich leise vor mich hin- irgendeine Ausrede hatte doch her gemusst, ich konnte ihm ja wohl schlecht sagen, dass ich gerade einen Geist an den Fersen kleben hatte. Schon wieder.
Als der junge Mann dann allerdings plötzlich nach eben jener Lampe griff und sie zu sich herannahm, sie betrachtete, schrie der kleine Dschinn erschrocken auf und fluchte vor sich hin, redete auf mich ein, dass ich was dagegen unternehmen sollte und dass ich Jackson sein Zuhause wieder aus den Fingern nehmen sollte. Ich blickte zwischen den Beiden hin und her, kaute mir nervös auf der Unterlippe herum und nahm Jax letztendlich die Öllampe aus den Händen, nahm sie an mich.

Lucie

Ich biss mir so lange nervös auf der Unterlippe herum, bis ich einen leicht metallischen Geschmack in meinem Mund hatte und mich das irgendwie wach rüttelte. Ich ließ von meiner Lippe ab, presste sie stattdessen ein wenig aufeinander und seufzte dann leise, als er nachhakte, ob es mir auch wirklich gut ging. Ich wirkte also.. verwirrt auf ihn.. Nur zu dumm auch, dass er mich einfach schon zu lange kannte, als dass ich ihm in dieser Hinsicht noch sehr viel vormachen können würde. Aber was sollte ich ihm denn erzählen? 'Ach, hey.. es ist nichts weiter, nur ist da gerade ein kleiner Dschinn aus der Lampe gekommen, der jetzt mit mir redet und dich gerade eben dafür verflucht hat, dass du sein Zuhause in die Hände genommen hast. Ja und übrigens kann ich auch noch Geister heraufbeschwören- zumindest denke ich das.' Na wenn er mich da mal nicht sofort als verrückt abstempeln würde und mich in die Klapse einweisen lassen würde.
Mein Blick glitt nochmal kurz zu der Öllampe in meinen Händen und zu dem kleinen Geist, der darüber schwebte, ehe ich meinen besten Freund wieder ansah und kaum merkbar mit den Schultern zuckte. "Ja, das weiß ich.. Es ist nur so.. ich.. kann dir das nicht erklären. Du würdest es mir nicht glauben und mich vielmehr für.. bescheuert halten" erwiderte ich leise, hätte mich schon selbst für meine Worte ohrfeigen können. Himmel, er musste mich ja für komplett bescheuert halten. "Können wir dann gehen? Bitte..?"

Lucie

Ob ich bitte was? Gebissen? Oder angefallen? Von einem Tier? Wie um alles in der Welt kam er denn jetzt darauf? Zugegebenermaßen verwirrte er mich ein wenig, aber letztlich schüttelte ich einfach nur den Kopf. "Nein.. mich hat nichts gebissen oder angefallen.." erwiderte ich leise und war dann doch erst einmal froh, als er offenbar damit einverstanden zu sein schien, dass ich gehen wollte. Von meinem Kaffee würde ich jetzt eh keinen einzigen Schluck mehr herunterbekommen..
Als Jax dann bezahlte (und schon wieder mit der Bedienung flirtete), stand ich schon einmal auf und ging in Richtung Tür- ich musste gerade einfach irgendwie so viel Abstand zwischen den Öllampengeist und mich bringen wie nur irgendwie möglich. Ich brauchte einen klaren Kopf um über alles weitere nachdenken zu können und solange ich mich nicht wieder einigermaßen beruhigt haben würde, würde das wohl auch nicht funktionieren. Das Geld für den Kaffee würde ich dem jungen Mann einfach später zurückgeben, oder ich würde den nächsten Kaffee für ihn mitbezahlen. An der Tür wartete ich also auf Jax, der dann auch schon kam und mir die Tür aufhielt, woraufhin ich ihn ein wenig dankend anlächelte, wobei ich immer noch nicht wieder ganz auf dem Damm war und das wohl auch nicht verbergen konnte. Nicht vor ihm zumindest.
Draußen liefen wir auf dem Gehsteig nebeneinanderher, aber ich hatte wirklich keine Ahnung ob und wie ich es Jax beibringen sollte, dass ich nun schon einige Male Bekanntschaft mit Geistern gemacht hatte.

Lucie

Irgendwie war es beruhigend und schön, als er einen Arm um meine Schultern legte. Das ließ irgendwie das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit in mir aufkommen und das ließ mich doch auch wieder ein wenig ruhiger werden. Wobei mir dieser bescheurte geist dennoch nicht aus dem Kopf gehen wollte, es schien fast so als hätte er sich dort festgesetzt. Aber auch Jax Worte waren beruhigend- ich konnte ihm vertrauen und wenn ich jemandem etwas darüber erzählen würde dann ihm. Aber nicht jetzt. Und auch nicht in ein paar Minuten und Stunden und Tagen. Ich konnte es ihm einfach nicht sagen. "Danke, Jax" murmelte ich leise und schaute zu ihm auf, blickte ihn mit meinen blauen Augen dankend an.
Was er dann allerdings sagte verpasste mir doch fast einen Stich- oh, wie recht er doch hatte mit seinen Worten! "Sehr witzig.." seufzte ich und verpasste ihm meinen Ellenbogen leicht in die Rippen, allerdings nicht zu fest, ich wollte ihm schließlich auch nicht weh tun. Wobei ich dann beschloss, dass es besser sein würde auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen und das fallenzulassen. Würde besser sein.
"Wie war eigentlich dein erster Tag?" fragte ich ihn stattdessen und lenkte damit von der Sache im Café ab.