Lucie

Hätte ich gewusst, was mich im Wald erwartet hätte, dann wäre ich wohl schleunigst davongelaufen. Und zwar schreiend. Keine Ahnung was mich da geritten hatte, dass ich ausgerechnet Gideon in den Wald gefolgt war, aber ich hatte es getan. Immer mit einem gesunden und unauffälligen Abstand zu dem jungen Mann, der ein Rätsel nach dem anderen regelrecht aus dem Erdboden schießen ließ.
Was bitte wollte er beim Denkmal? Wirklich, ich hätte mir jede andere Person bei diesem Denkmal besser vorstellen können wie Gideon. Er schien so ignorant und abweisend, dass es einfach nicht zu ihm passte zu so etwas zu gehen. Aber als dann plötzlich Jax in mein Blickfeld fiel, war ich schon versucht ihm zuzurufen- unterließ es aber gerade rechtzeitig doch noch. Denn von einer auf die andere Sekunde rissen die beiden jungen Männer sich ihre Klamotten regelrecht von den Leibern. Ich blinzelte einen Moment, stand fast wie erstarrt da, ehe ich mich dazu zwang mich hinter einer dicken Eiche zu verstecken, an der ich vorbei linste. Warum zum Teufel zogen sie sich aus? Lief da etwa was zwischen den Beiden und Jax hatte mir nur vorgemacht Gideon nicht zu kennen? Aber das sah ihm so gar nicht ähnlich, das konnte ich mir nicht vorstellen.
Was dann passierte, ließ mein kleines Herz dann doch wirklich für einige Sekunden total zum Stillstand kommen und mich meinen Atem anhalten. Jax.. er. Oh Gott. Was passierte da mit ihm? Ich traute meinen Augen nicht und kurzzeitig war ich versucht zu ihm zu laufen, da er sich vor Schmerzen regelrecht zu krümmen schien. Meine Beine wollten mir aber nicht gehorchen. Ich atmete tief durch, suchte in meinem Kopf nach einer logischen Erklärung dafür, fand aber keine. Und dann stand da an der Stelle von Jax plötzlich ein riesiges Monstrum von Wolf. Das.. nein, das war ein Traum. Das entsprach nicht der Wahrheit, ich würde bestimmt gleich aufwachen, weil ich das alles nur geträumt hatte. Aber vor einer halben Stunde war ich ja noch in der Schule gewesen- ich konnte also gar nicht schlafen. Mein Herz raste wie wild, mein Verstand wollte aber nicht so recht glauben was da geschah. Und dann fing Gideon auch noch an sich zu krümmen..

Lucie

Nein, also das war einfach.. unmöglich. Ein Mensch konnte doch nicht einfach mal eben so ein Wolf werden. Das ging nicht, das passte einfach weder hinten noch vorne, noch oben noch unten zusammen. Das waren Unterschiede wie Tag und Nacht, das konnte einfach nicht sein.
Mein Verstand weigerte sich vehement zu glauben, was ich da gerade eben zu Gesicht bekommen hatte. Nicht nur mein Verstand, auch meinen Augen traute ich ehrlich gesagt fast schon nicht mehr. Vielleicht war das wirklich alles nur ein dummer Traum, aber ich war ja nicht bescheuert, ich war vorhin noch in der Schule gewesen und wacher als wach.
Jetzt wohl auch mehr denn je, weil was sich da vor meinen Augen abspielte schien völlig absurd zu sein. Zwei riesig große Wölfe- der eine grau-braun und der andere beinahe weiß- umrundeten sich einmal, ehe sie sich auf den Erdboden legten. Für mich ergab das alles gar keinen Sinn. Für mich konnten das unmöglich mein bester Freund Jax und der Fremde Gideon sein. Und irgendwie wurde mir dann nach einigen Sekunden auch richtig mulmig zumute, ich fühlte mich irgendwie schlecht und unsicher, denn eigentlich sollte ich vermutlich wohl gar nicht erst hier sein. Sondern vielmehr daheim. Und dorthin würde ich jetzt auch zurückgehen..
Ich wandte meinen Blick ab, lehnte mich gegen den Stamm der großen Eiche und atmete tief durch, bevor ich mich so leise wie nur irgendwie möglich vorwärts bewegte. Was aber auch gar nicht so einfach war, überall lagen Äste herum und ich musste gleichzeitig auch noch aufpassen, dass die beiden überdimensional großen Wölfe mich nicht zwischen den Bäumen umher huschen sahen. Irgendwie schaffte ich es dann auch mit vor Angst und Unsicherheit klopfendem Herzen einige Meter von den Geschöpfen weg, ehe ein leichter Wind durch die Bäume wehte.

Lucie

Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich mich unbemerkt davonschleichen können würde. Aber ich hatte es wohl geschafft. Und ich war echt froh, als ich endlich daheim angekommen war. Irgendwie lagen meine Nerven ziemlich blank, meine Gedanken wirbelten nur noch wirr umher und für Schule hatte ich gerade überhaupt keine Lust mehr. Ich dachte nicht mal daran, dass ich ja eigentlich noch Hausaufgaben auf hatte.
Da es mich irgendwie unsagbar fror, hüpfte ich unter die Dusche und ließ das angenehm warme Wasser über meinen Körper prasseln. Aber es half leider nicht, mich das Geschehene im Wald vergessen zu lassen. Für mich war es einfach unerklärlich, dass diese riesigen Wölfe Jax und Gideon waren. Nachdem ich fertig war, setzte ich mich ihm Wohnzimmer mit einem Buch eingekuschelt in eine Decke aufs Sofa, hoffte, mich damit ein wenig ablenken zu können. So richtig klappte das aber auch nicht.
Dennoch schreckte ich erschrocken auf, als es plötzlich an der Haustür klingelte. Mit einem Seufzen stand ich auf und fragte ein leises 'Ja?' in die Sprechanlage- und ich wäre wohl wirklich total neben der Spur, wenn ich die Stimme nicht erkennen und zuordnen können würde. Jax. Ob ich Lust hatte nochwas zu machen? Einen Moment gab ich keine Antwort von mir, dann lief ich zur Haustür und zog sie auf, nur um meinem besten Freund dann in die aufmerksam grünen Augen zu blicken. "Du hast mich einfach stehen gelassen. Und ich war auch noch so dumm und hab auf dich gewartet!" fauchte ich ihn an und hätte am liebsten die Tür vor seiner Nase zugeklatscht, wobei ich mir das dann doch irgendwie noch verkneifen konnte..

Lucie

Und da stand dann auch schon sein Füß in der Tür, wollte mich somit wohl noch daran hindern, dass ich die Tür einfach in ihre Angeln schmeißen könnte und ihn draußen stehenlassen könnte. Es war also was Wichtiges dazwischen gekommen? Soso.. zum Beispiel, dass er lieber mit Gideon in den Wald ging? Wollte er mich veräppeln? Sonst hatte er doch auch nie wirklich Geheimnisse vor mir gehabt!
Und dann wollte er mich auch noch mit einem läppischen DVD Abend beschwichtigen? Seinem Hundeblick entgegnete ich mit meinen funkelnden blauen Augen, ehe ich nach seiner Hand griff und ihn ins Haus zog, hinter mir die Tür wieder schloss. Ich hatte keine Lust das jetzt auf offener Straße mit ihm zu klären- ich konnte wohl auch froh sein, dass meine Familie gerade ausgeflogen war.
"Was 'Wichtiges'? Hältst du mich für dumm? Du hättest dich wenigstens mal kurz bei mir melden können, aber nein, da triffst du dich lieber mit diesem Gideon! Und dann kommst du her und denkst 'Achja, Lucie, da war ja noch was. Die lässt sich bestimmt mit ein paar Filmen beruhigen..'. Du bist echt bescheuert, weißt du das eigentlich?" fauchte ich ihn an und drängte mich an ihm vorbei ins Wohnzimmer, wo ich mir mein Buch schnappte und es dann mitsamt meinen Armen vor der Brust verschränkte.

Lucie

Natürlich verdrehte er die Augen. War mal wieder so klar gewesen. Gut, das Warten an sich war nicht allzu schlimm gewesen- wäre da nicht die Tatsache, dass er mich versetzt hatte, weil er lieber mit seinem seit heute scheinbar besten Kumpel Gideon abgehangen hatte.
"Natürlich hat es was mit ihm zu tun.. Glaubst du ich bin blind? Erst meint man, dass ihr euch am liebsten gleich gegenseitig an die Kehle springen würdet und dann seid ihr auf einmal best friends. Gideon hat es nach der Schule nämlich ziemlich eilig gehabt und unauffällig umsehen kann er sich auch nicht gerade. War ne ziemlich blöde Idee von mir zu denken, dass ich ihm ja mal ein Stückchen folgen könnte um zu sehen was er so vorhat.." erwiderte ich und schaute meinen besten Freund ziemlich angesäuert an, presste die Lippen fest aufeinander und versuchte das leichte Zittern meines Körpers zu unterdrücken, das in mir aufkam.
Und nein, ich hatte weder einen Korb von einem Kerl bekommen, noch hatte ich momentan meine Tage. Himmel, wieso waren Kerle nur so kompliziert? Es war ja wohl eindeutig, dass Jax da irgendein Geheimnis hatte und es lieber mit einem Fremden als mit mir teilte.. hervorragend, wirklich.

Lucie

Beinahe dachte ich schon, Jax würde sich jetzt aus dem Staub machen und mich einfach ohne irgendeine Erklärung stehen lassen. Tat er aber glücklicherweise nicht. Zu seinem Glück. Das hätte ich ihm dann nämlich doch ziemlich verübelt.
Was ich gesehen hatte? Viel. Zu viel. Viel zu viele Dinge, die ich nicht einmal ansatzweise verstand und aus denen ich mir auch keinen Reim machen konnte. Es war unerklärlich, ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte. Unruhig wie er von einem Fuß auf den anderen trat war da also doch was im Busch. Ich hatte es nicht geträumt, wobei mir schon vorher klar gewesen war, dass es keiner gewesen war. Aber er brauchte mir hier auch echt nichts vormachen. "Ihr habt euch ausgezogen.. und dann waren da anstelle von euch wahnsinnig große Wölfe.." meinte ich nun deutlich leiser, auch wenn in meiner Stimme immer noch Verärgerung lag.
"Das sah aber anders aus" murmelte ich und erwiderte seinen Blick, wobei die Herausforderung in seinen grünen Augen doch fast ein wenig.. einschüchternd war.

Lucie

Er schien nicht gerade glücklich darüber zu sein, dass ich ihn und Gideon zusammen im Wald gesehen hatte. Aber was hätte ich denn machen sollen? Ich hatte ja nicht gewusst, dass die beiden jungen Männer ein Treffen im Wald hatten, ich hatte Gideons Verhalten einfach nur total komisch gefunden und war ihm deshalb gefolgt.
Nein, Jax war gar nicht glücklich darüber. Es wirkte fast eher so, als würde er mich gleich anbrüllen wollen- zumindest las ich das aus seinen grünen Augen ab, die mich regelrecht anstarrten.
Nur schien er offensichtlich auch von mir zu denken, dass ich mich auf den Dorfplatz stellen würde und das was ich gesehen hatte lautstark herumbrüllen. Was dachte er denn von mir? Ich verstand ja selbst nicht einmal so wirklich, was da im Wald vor sich gegangen war. "Wärst du weggegangen, hättest du sowas zu Gesicht bekommen? Ich hab euch ja nicht einmal extra beobachtet, ich bin Gideon einfach gefolgt weil er sich komisch benommen hat. Mal ganz davon abgesehen, dass er so oder so ein eigenartiger Typ ist" erwiderte ich und biss mir kurz auf die Unterlippe.
"Du scheinst mir ja wirklich sehr zu vertrauen.. als ob ich das jetzt allen Leuten erzählen würde. Ich weiß ja nicht einmal selbst, was da.. passiert ist.." murmelte ich leise, fast ein wenig enttäuscht, da er mir ja offensichtlich nicht wirklich zu vertrauen schien, so wie er mich warnte.

Lucie

Als er sich einfach aufs Sofa fallen ließ, schaute ich ihn einen Moment lang verwirrt an, bevor ich mich zu ihm setzte und seinen Worten lauschte.
Ob er mir jetzt alles erzählen würde? Oder ob er mir doch einen Teil der Wahrheit verschweigen würde? "Alles.. ich möchte bitte alles wissen, Jax.." forderte ich leise von ihm und schaute den jungen Mann aufmerksam an, ehe ich leicht das Gesicht verzog, als er anfing, das Ganze mal wieder völlig ins Lächerliche zu ziehen. Ich streckte meine Hand langsam nach ihm aus und legte sie vorsichtig auf seinen Arm. Ich hatte keine Angst vor ihm und er sollte mir jetzt bitte einfach nur noch die Wahrheit erzählen, was da im Wald geschehen war und was das bedeutete. "Bitte mach keine Witze darüber, ich finde das nicht gerade lustig.."