Lucie

Konnte er sich nicht einfach wieder zurückverwandeln und der 'alte' Jax sein? So wie ich ihn schon jahrelang kannte? In menschlicher Gestalt? Es war ein komisches Gefühl, ihn in seiner Wolfsgestalt vor mir zu haben und nicht mit ihm reden zu können. Hinzu kam noch die Angst. Aber würde er mir etwas tun wollen, hätte er schon längst die Möglichkeit dazu gehabt. Als er sich auf den Boden legte und den Kopf auf die Pfoten legte wirkte er schon weitaus ungefährlicher. Ich wich seinen grünen, jetzt tierischen Augen aus, schloss für einen Moment meine Augen und versuchte mich zu beruhigen.
"Du tust mir nichts, oder?" fragte ich dann leise in die Stille des Waldes hinein, hoffte, dass er es mir irgendwie kenntlich machen würde. Ich schluckte schwer, dann stand ich langsam auf und ging ebenso langsam zu ihm hinüber, bevor ich mich mit einem gewissen Abstand leicht schräg vor ihm auf dem Boden niederließ, immer noch mit klopfendem Herzen. Wie hatte er mich vorhin genannt? Rotkäppchen..

Lucie

Ich wagte es nicht noch ein zweites Mal, meine Hand nach meinem besten, wölfischen Freund auszustrecken und somit zu versuchen in zu berühren. Es war so schon genug Überwindung für mich, mich ihm mit so wenig Abstand zu nähern und so ruhig auf dem Waldboden zu sitzen. Meine Hände wollte ich nämlich gern behalten, ich wollte nicht riskieren, dass er noch einmal nach mir schnappen würde. Seine Zähne wirkten nämlich rasiermesserscharf. Aber was mich zusätzlich beunruhigte war, dass er mir nicht auf meine Worte hin zu verstehen gegeben hatte, dass er mir nichts tun würde. Hatte er sich genug unter Kontrolle? Oder nicht? 
Als der Kopf des dunklen Wolfes sich zur Seite drehte und etwas zu sehen schien, folgte ich seinem Blick und augenblicklich schlug mein Herz wieder schneller. Ein weißer Wolf. War das.. Gideon? Bestimmt. Was machte er hier? Vor allem, dass er sich neben mir niederließ überraschte mich und flößte mir gleichermaßen Respekt ein. Was sollte das werden? "Ihr macht mir Angst" brachte ich leise hervor und zog die Beine an meinen Körper, um die Arme darum zu schlingen. Ich hatte keine Ahnung was ich tun sollte. Wie ich mich verhalten sollte. Und ob sie mich überhaupt verstanden. 

Lucie

Himmel, konnte Jax sich nicht einfach wieder zurückverwandeln? In den Menschen, den ich kannte? Auch Gideon sollte sich zurückverwandeln, denn die beiden in Wolfsgestalt, die mich einfach nur mit ihren großen Augen anschauten machten mir so langsam aber sicher wirklich unheimliche Angst. Es war irgendwie gruselig, vor allem, da wir uns mitten im Wald befanden und es auch langsam dunkel wurde.
Als der dunkle Wolf aufstand, blinzelte ich kurz und sah ihm dann hinterher, wobei ich ein wenig verwirrt war, als mein bester Freund der Wolf seinen Rucksack zwischen die Zähne nahm und mich dann ansah. Zuerst verstand ich nicht was er wollte, weshalb ich auch kurz zu dem weißen Wolf neben mir schaute, aber dann stand ich auf und lief zu meiner Tasche, die ich an mich drückte. "Gehen.. gehen wir nach Hause?" fragte ich leicht zittrig und schaute zwischen den beiden hin und her, allerdings war es wohl klar, dass ich eher dem dunklen Wolf vertraute als dem mit dem weißen Fell. Ich stolperte hinter Jax her und schaute mich noch einmal um, aber Gideon schaute uns in dem Moment immer noch nur hinterher. "Kannst du dich nicht wieder verwandeln? Bitte.." bettelte ich.
Es kam wie es kommen musste.. die Geister schienen auf meine Gefühlsregungen zu reagieren und plötzlich tauchte links von uns ein.. seltsam aussehender, leuchtender Geist auf, weshalb ich so sehr erschrak, dass ich einen Satz zur Seite machte, einen spitzen Schrei von mir gab und mich an Jax festzuklammern versuchte, meine Hand in seinem Fell vergrub.

Lucie

Ein Kopfschütteln. Falls man das so deuten konnte, wie er den Kopf hin und her gewiegt hatte. Also hieß das, dass er sich nicht zurückverwandeln konnte? Beinahe wäre mir ein Seufzen über die Lippen gekommen, allerdings wurde das von einem spitzen, erschrockenen Schrei abgelöst. Schon wieder so ein bescheuerter Geist.. wirklich, das war echt gruselig. Erst recht hier drin im Wald, wo es ja eh schon relativ dunkel war und ich mit zwei Wölfen unterwegs war. Oder eher nur mit einem Wolf, meinem besten Freund. Ich wollte gar nicht wissen, was Gideon und vor allem auch Jax jetzt von mir dachten. Wahrscheinlich, dass ich verrückt war. Denn schon neulich im Café war ich mir sicher gewesen, dass Jax den Geist nicht hatte sehen können. Jetzt also garantiert auch nicht.
Ich spürte, dass Jax' Wolfskörper sich einen Moment anspannte und ich vernahm auch nur allzu deutlich den knurrenden Laut. Kurz schloss ich die Augen und wünschte mir den Geist wieder weg, bettelte in Gedanken förmlich darum. Und kaum hatte ich die Augen wieder geöffnet, verpuffte das leuchtende, geisterhafte Wesen wieder. Für einen Moment versuchte ich tief durchzuatmen, als ich merkte, dass ich mich ziemlich fest in Jax' dunklem Fell verkrallt hatte, weshalb ich meine Finger augenblicklich wieder lockerließ und sie aus seinem Fell zog. "Tut mir leid.." hauchte ich und schaute ihn entschuldigend an, ehe mein Blick nochmal kurz zu der Stelle glitt, wo vorher der Geist gewesen war. "Ich.. muss dir noch etwas sagen. Aber bitte Zuhause und wenn du wieder.. du bist" murmelte ich dann leise und unterdrückte das leichte Zittern meines Körpers. Wirklich, ich wollte jetzt nur noch nach Hause.

Lucie

Glücklicherweise gingen wir dann schnell weiter, sodass wir den gruseligen Geist und bald auch den Wald hinter uns ließen. Gideon war uns gefolgt, aber ehrlich gesagt war mir das in diesem Moment ziemlich egal. Solange er mir nicht total auf die Pelle rückte.. Wobei ich vor beiden Kerlen in Wolfsgestalt wahnsinnigen Respekt hatte, noch ein weiteres Mal hatte ich Jax nicht angefasst. Und auch Gideon war ich mehr oder weniger ausgewichen. Zu beiden Wölfen hielt ich einen gesunden Abstand. 
Als wir dann vor Jax' Elternhaus standen- ich wohnte nur ein paar Häuser weiter- stellte der großgewachsene, dunkle Wolf seinen Rucksack vor meine Füße und als er zum Tor deutete, verstand ich. Ich ging in die Hocke, öffnete den Rucksack und kramte ein wenig darin herum, bis ich den Schlüsselbund gefunden hatte. Mit diesem ging ich dann zum Tor, sperrte es auf und öffnete es so leise wie möglich. Ich würde einfach gleich mit zu Jax gehen, war ja egal. Dann würde ich nicht nochmal nach Hause gehen müssen. 

Lucie

Gideon war uns zwar gefolgt, aber kaum hatte ich die Haustür aufgeschlossen, war der weiße Wolf wieder davon getrabt. Fand ich ein wenig seltsam aber ich störte mich nicht weiter daran. Ich schloss die Tür hinter uns wieder und sah Jax hinterher, wie er in Richtung seines Zimmers lief. Sollte ich ihm folgen? Aber er hatte mir kein Zeichen dazu gegeben. Vielleicht wollte er kurz alleine sein. Also stellte ich meine Tasche, als auch Jax' Rucksack bei der Garderobe ab, bevor ich wartete. Seine Eltern waren wie er heute bereits gesagt hatte nicht daheim, was ich in dem Moment auch wirklich begrüßte. Zumal ich Jax noch etwas sagen musste, wo ich nicht unbedingt Lauscher dabei haben wollte. Waren seine Eltern zwar nicht, aber wenn wir ganz alleine waren fühlte ich mich einfach wohler dabei. 
Es dauerte einige Minuten, dann kam der junge Mann wieder zurück und was ich noch viel besser fand: in menschlicher Gestalt. Ich drückte mich vom Türrahmen ab, an den ich mich gelehnt hatte, bevor ich mich meinem besten Freund regelrecht an den Hals schmiss. "Jax.." murmelte ich leise, froh darüber, dass es wieder vorbei war. "Du hast mir echt einen Schrecken eingejagt."

Lucie

"Ist schon okay.. ich hab mich nur erschrocken. Und Sorgen hab ich mir auch gemacht, weil du dann einfach abgehauen bist" meinte ich leise und schaute zu ihm auf, ehe ich einen Schritt zurückmachte, als er mich auch wieder losgelassen hatte. "Passiert das öfters, dass du dich so unvorhergesehen verwandelst?"
Als er nach unserem gemeinsamen Abend fragte, nickte ich leicht, bevor ich mir die Schuhe von den Füßen abstriff und sie ordentlich neben die anderen Schuhe bei der Garderobe im Eingangsbereich stellte. "Ja, klar" gab ich ihm dann noch mit Worten zu verstehen und folgte ihm in den Wohnbereich seines Elternhauses. Ich fühlte mich hier im Grunde genommen schon wie Zuhause, ich hatte hier schon sehr viel Zeit mit dem jungen Mann verbracht. Wir waren aber auch schon ein paar Jahre sehr gut befreundet- was mich manchmal immer noch wunderte, eigentlich müsste man nämlich denken, dass er mit jemandem ruhigeren wie mir nicht so wirklich etwas zu tun haben wollte, wo er schon ziemlich beliebt in der Schule war.
Die Sache mit den Geistern blieb mir aber wohl doch nicht erspart, aber ich wollte ihn auch nicht weiter anlügen. "Ja.." meinte ich und fuhr mir ein wenig nervös durch die blonden, langen Haare, die von dem ganzen Aufruhr heute ziemlich durcheinander waren. "Du wirst mir das vielleicht nicht glauben und ich weiß selbst nicht wie das alles dauernd passiert, aber ich kann.."- ich schluckte kurz schwer- ".. Geister sehen. Und ich kann sie nicht nur sehen, sondern sobald ich mich über irgendetwas freue oder ich Angst habe oder was auch immer was, tauchen sie auf.." Okay, wahrscheinlich dachte er jetzt erst recht, dass ich sie nicht mehr alle hatte.

Lucie

Noch nie? Ohje, na hoffentlich ging das gut. Die Leute hier waren alle so sehr abergläubisch, dass manche sogar noch irgendwelche Rituale durchführten, um Hexen und dergleichen auszutreiben. Was würde passieren, wenn sie herausfinden würden, dass Jax sich in einen riesigen Wolf verwandeln konnte? Würden sie Jagd auf ihn machen? So lange, bis sie ihn zwischen die Finger bekommen würden? "Und was ist mit Gideon? Glaubst du er hat gewusst, dass du hier bist? Oder dass du dich verwandeln kannst?" fragte ich ihn dann weiter.
Allerdings musste ich dann selbst mit der Sprache herausrücken und schon alleine der Blick von Jax ließ es mir kalt den Rücken hinunterrutschen. Er glaubte mir nicht. Dachte er jetzt tatsächlich, dass ich nicht mehr alle hatte? "Du glaubst mir nicht.." brachte ich leise hervor und senkte den Blick etwas herab. Vielleicht hätte ich es ihm doch nicht sagen sollen. Aber jetzt war es zu spät und jetzt konnte ich nur versuchen, es ihm irgendwie zu erklären, dass ich die Wahrheit sagte. "Ich weiß nicht warum du sie nicht sehen kannst. Und das neulich im Café.. aus der Öllampe war auch ein Geist gekommen. In letzter Zeit passiert mir sowas immer öfters und das Schlimme ist, dass ich keine Ahnung habe wie ich sowas kontrollieren kann.."