Miles

Wenigstens schoben sie Alexis gleich zu ihm in den Wagen - es war erleichternder sie sehen zu können, als nicht zu wissen was mit ihr geschah.. auch wenn die Situation im Allgemeinen wohl eher weniger dem entsprach, was man jemandem wünschte. Völlig egal wem. Stumm schweigend saß er da, den Blick auf die gefesselten Hände gesenkt, während er fieberhaft darüber nachdachte was er tun konnte und was weiter geschehen würde.
Nachdem sie allerdings nach gefühlten Stunden noch immer ihren Arsch platt drückten, kam langsam eine Vorahnung in ihm auf, die so einiges in ihm hervorrief, nur keine Freude. Besorgt glitt sein Blick zur Fensterscheibe des Wagens neben sich, bevor er Alexis einen Augenblick fixierte.
Er wollte unter keinen Umständen auch nur irgendwann einmal einem dieser widerlichen Menschenfresser begegnen. Er hatte noch nie einen gesehen und das war auch nichts was auf seiner Liste stand. Das wünschte er nicht einmal seinem schlimmsten Feind. Das konnten die nicht bringen. Angespannt krampften sich seine Hände zu Fäusten, wobei er auch nicht schaffte sich selbst wieder innerlich zu beruhigen, bevor der Wagen so plötzlich hielt, dass Miles fast auf die ihm gegenübersitzende Alexis fiel, sich gerade so noch neben der Brünetten auf deren Sitz abstützen konnte - was dem Soldaten sofort einen missbilligenden Kommentar entlockte, bevor er ihn zurück auf die Sitzbank drückte und an ihm vorbei die Tür aufdrückte, um die Handschellen erst bei ihm, dann bei Alexis zu lösen und sie regelrecht aus dem Wagen zu katapultieren: "Lasst euch nicht fressen." warf er ihnen noch hinterher, was Miles nur in dem was er im Endeffekt sowieso schon wusste bestätigte. Aber gerade brachte er kein Wort über die Lippen. Er konnte nur das Blut in seinen Ohren rauschen hören, das von seinem rasenden Herzen in einer unmenschlichen Geschwindigkeit durch seinen Körper gepumpt werden musste.

Olivia.

Irgendwann war einer der Soldaten zu ihr in den Wagen gestiegen, hatte sie angeherrscht still zu sein, weil sonst schlimmeres geschehen würde. Und obwohl sie ihn etliche Male nach Derek fragte, schwieg er die gesamte Fahrt über, sodass sie irgendwann schluchzend aufgab und sich geschlagen gab, den Kopf gegen die kalte, dunkle Scheibe lehnte und die Augen schloss. So lange, bis der Wagen anhielt.
Dabei waren ihre Gedanken die ganze Zeit wild durch ihren Kopf geflogen. Völlig unsortiert und total verwirrend. Was geschah hier nur? Wie konnte es überhaupt passieren, dass sie so behandelt wurden? Ihr gesamtes Leben lang hatte Livia nur Respekt entgegen gebracht bekommen. Dank der Position ihres Vaters, aber wo war ihr Vater jetzt? Wo war er verdammt und wo blieb die dicke, fette Entschuldigung für das was hier gerade geschah? Sie würde ihn sowas von leiden lassen, für das was hier gerade ablief. Ihre Panik wich langsam der Wut.
Dann wurde die Tür aufgestoßen und sie unwirsch hinaus befördert, sodass sie doch glatt auf ihrem Hintern landete und gerade noch den Kopf ducken konnte, damit man ihr die Wagentür nicht geradewegs gegen eben jenen schlug.
Was zur Hölle war hier los? Noch immer vollkommen verwirrt rappelte sie sich auf, konzentrierte sich im Moment gar nicht auf ihre Umgebung oder das was geschah.. nur darauf Derek auszumachen, der gerade ebenfalls aus einem Wagen stieg. Ein erleichtertes Seufzen kam über ihre Lippen. Er schien unverletzt zu sein. Wobei ihr wenig später auch Crystal und Cameron auffielen - die sie allerdings fürs erste ignorierte.

Miles.

Die Aufmerksamkeit die er seiner Umgebung geschenkt hatte wurde schnell Alexis zugewandt, die langsam durchzudrehen schien. Mit ihrem Lachen bezweckte sie nur eins: Sie machte weiß Gott wen auf sie aufmerksam und das war nichts, was Miles gebrauchen konnte. Vor allem schien sie in diesem Zustand zur Verteidigung extrem unbrauchbar - und sie konnten wohl jeden gebrauchen der sich ihnen bot. Wer wusste wie viele Kannibalen hier draußen mittlerweile schon lungerten?
Gezielt trat er an die junge Frau heran, zog sie ohne zu zögern an sich und strich ihr vorsichtig über die zerzausten Haare.
"Beruhig dich, Alexis.." forderte er sie mit rauer Stimme auf still zu sein. Nicht unfreundlich, aber in gewisser Weise schon drängend. Es war wichtig, dass sie hier nicht die Fassung verlor. Sie fanden schon irgendwie eine Lösung. Das hoffte er zumindest.
Mit einem Seufzen glitt sein Blick zu Derek und Olivia: "Ich weiß ja nicht wie ihr das seht, aber ich bin der Meinung zu Viert hat man hier draußen mehr Chancen als zu Zweit." Das war eine indirekte Aufforderung zusammen zu bleiben, ganz klar. Und entweder sie verstanden den Wink mit dem Zaunpfahl oder eben nicht. Miles war sich sicher, dass er mehr Kampferfahrung in seinem Leben gesammelt hatte als die drei anderen zusammen. Demnach war er hier Derjenige, der sich wohl die größten Chancen anrechnen konnte, oder nicht?

Olivia.

Pure Erleichterung machte sich in Liv breit, als Derek sie in seine Arme zog. Ohne sich zu wehren ließ sie es geschehen, schloss sogar einen Moment die Augen. Wo sie hier waren wollte sie gar nicht wahr nehmen. Auch nicht mit wem und vor allem nicht wieso. Darauf gab es allerdings so oder so keine Antwort. Sie wusste nicht wieso. Sie hatte nichts unrechtes getan und würde ihr Vater wissen was hier los war, hätte er das niemals zugelassen. Niemals!
Versohlen wischte sie sich die teils schon angetrockneten Tränen von der Wange - normalerweise war sie niemand der Rotz und Wasser heulte, aber der Gedanke daran, das Derek eine Kugel abbekommen hatte war einfach verstörend gewesen. Offensichtlich ging es ihm aber gut. Den Umständen entsprechend zumindest.
Vorsichtig löste sich Liv wieder aus der Umarmung ihres Bruders, wagte es das erste Mal sich bewusst umzusehen und hielt glatt wieder die Luft an, als sie erschrocken zusammen zuckte, weil ein nahezu hysterisches Lachen an ihr Ohr drang, das ihren Blick augenblicklich zu Crystal - oder Alexis? Oder wie hatte Cameron sie gerade genannt? - gleiten ließ, die sei vollkommen verständnislos anblickte.

Miles.

Stimmt. Wenigstens sah er das ein. Miles nickte ein wenig karg, bevor sein Blick zum Himmel glitt. Es begann schon langsam zu dämmern. Vermutlich war es das Beste sich einen halbwegs sicheren Unterschlupf zu suchen, alles andere ergab für Miles zumindest keinen Sinn. Sie brauchten etwas, um sich ausruhen zu können. Halbwegs zumindest. Und die scheinbar verlassenen Häuser schienen am besten. Klar, fürs erste waren sie gefährlich, weil man nicht wusste wer oder was sich darin befand - aber letzten Endes, wenn sie ein gutes Haus erwischten, fanden sie daran vielleicht sogar noch nützliche Sachen.
Alexis hatte sich derweil wieder von dem jungen Mann gelöst, spannte sich gerade aber schon wieder an. Das Rascheln selbst hatte der Dunkelhaarige nicht wahr genommen, ignorierte gerade auch noch die junge Frau und ihre Anspannung, blieb an Derek gewandt, dessen Schwester sich mittlerweile auch wieder von ihm gelöst hatte, aber mehr wie ein Häufchen Elend neben ihm stand. Etwas, das er von Olivia nicht kannte, er war nur ihren stechenden Blick gewohnt, der einen regelrecht durchleuchtete..
"Ich schlage fürs erste vor, dass wir uns einen sicheren Unterschlupf suchen und uns anschließend mit Waffen ausstatten - bevor wir Besuch bekommen. Bestenfalls zumindest." Das war ein Ding, das vielleicht erst einmal unter Männern geklärt werden sollte und wenn die Frauen sich einmischen sollten, dann taten sie das eben. Hatte Miles nichts dagegen, aber fürs erste sprach er eben doch direkt an Derek und nicht nur an Alexis oder beispielsweise Olivia.

Miles.

Ziemlich zügig gab es auch auf diese Worte Zustimmung und sie machten sich auf den Weg zum einzigen Haus in ihrer unmittelbaren Nähe, das noch annähernd brauchbar wirkte. Damit war es vielleicht gefährlich, weil auch Andere eben dies denken könnten, aber es war eben auch das einzig Brauchbare. Sie hatten also kaum eine andere Wahl.
Als erster betrat Miles schließlich das Haus, angespannt und alle Sinne geschärft. Es schien im Erdgeschoss nicht sonderlich viel zu geben. Sie betraten geradewegs eine Wohnküche mit abgewetztem Sofa, einer kleinen Küchenzeile im Eck und das war es auch schon wieder. Allerdings gab es zwei Türen. Einmal eine, die sicher zu einem Bad führte und.. vielleicht noch ein Schlafzimmer? Außerdem ging eine Treppe nach links ab, die allerdings ziemlich Brüchig wirkte. Ob sie ihn hielt? Er bezweifelte es.
Auf den ersten Blick schien sich hier allerdings niemand aufzuhalten. Alexis griff er an der Hand, um sie in Richtung der hinteren Tür zu ziehen, bevor er Derek deutete, dass sie sich den vorderen Raum ansehen sollten. Erst wenn sie sich sicher sein konnten, dass sich hier niemand anders aufhielt, würden sie sich verbarrikadieren und entspannen können. Halbwegs zumindest. Langsam drückte er die Klinke hinunter, bevor er die Tür öffnete. Der Raum war stockfinster, besaß kein Fenster... das Licht funktionierte nicht, wie er wenig später feststellte. Sein Herz raste, sein Atem beschleunigte sich unweigerlich, während das Blut in seinen Ohren rauschte und er versuchte etwas in diesem Raum zu erkennen - ein Waschbecken. Langsam trat er einen Schritt in den Raum hinein...

Solveig.

Nein. Nein. Nein. Das hier war ihr verdammtes Haus. Ihr sicheres Versteck. Sie hatte die Autos vorhin schon gehört, war aber nicht aus dem Haus heraus gekommen und hatte auch nicht gewagt hinaus zu sehen. Nicht, dass man sie entdecken könnte. Deswegen wusste sie auch nicht wie viele schließlich die kleine Hütte betraten, da sie alle still zu sein schienen. Es waren nur unterschiedlich schwere Schritte zu hören.
Die Blondine hatte sich in einen der Räume hier unten zurückgezogen und dicht an die Wand gepresst, in der Hoffnung dieser Raum würde fürs erste übersehen werden. Ihre Augen hatten sich glücklicherweise schon längst an die Dunkelheit hier drinnen gewöhnt.
Fest hielt sie das alte, schon ziemlich stumpfe Messer in der Hand, sodass die Knöchel ihrer verkrampften Finger weiß heraus stachen. Als dann die Türe auf ging hielt sie die Luft an. Es waren, soweit sie aus machen konnte, zwei Personen. Was für welche konnte sie natürlich nicht sagen, sie war immerhin kein Genie. Nicht, was das hier betraf. Vielleicht was Verteidigung und Überleben betraf - aber mittlerweile war es wohl auch schon eine ganze Weile her, dass sie verbannt worden war und sie lebte.. sie lebte noch immer, auch wenn sie sich mittlerweile nicht mehr sicher war, ob sie das überhaupt noch wollte. Aber sich den Kannibalen zum Fraß vorwerfen? Nur über ihre Leiche! Und auch jetzt schien ihr Kampfgeist und Lebenswille geweckt.
Und da sie den Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatte, konnte sie auch unbemerkt aus ihrem Versteck springen, dem deutlich größeren Kerl - wie sich herausstellte - ihr Messer über den Kopf ziehen, bevor sie auf die zweite Person zu sprintete.
Solveig's Herz raste, aber sie war konzentriert, bevor sie die zierlichere, weibliche Gestalt die erschrocken aufgeschriene hatte. Sie waren keine Kannibalen, so viel hatte sie schon bemerkt, die sahen anders aus.. weniger menschlich, gingen nicht so aufrecht und hatten keine sauberen Klamotten... der Autos wegen ging sie von Personen aus, die der Regierung angehörten. Menschen, die sie fast noch mehr hasst wie die Kannibalen, weil sie der Grund dafür waren, dass Solveig hier war.
In ihrer Wut darüber drückte sie die Frau nicht nur mit einem groben Stoß gegen die Wand, sondern rammte ihr auch noch die Klinge ihres Messers in den Bauch. Sie war sich durchaus bewusst, dass sie das gerade nur tun konnte, weil sie den Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatte, sie durfte jetzt nicht die Kontrolle über die Situation verlieren.
Das Messer war also schnell wieder aus dem zierlichen Körper heraus gezogen, bevor sie sich so postierte, dass sie hinter der Frau stand, deren Beine schon jetzt ziemlich wacklig zu werden schienen. Das blutige Messer hielt sie ihr an die Kehle, blickte in Richtung des jungen Mannes: "Nicht näher kommen..." drohte sie leise, blickte ihn misstrauisch an.

Solveig.

Da war jetzt aber jemand wütend. War sie jemand wichtiges gewesen? Irgendwer, dessen Tod schlimm war? Seine Vorgesetzte? Irgendwer hoch stehendes? Und er war ihr Bodyguard oder was? Er sollte sich mal nicht so anstellen... sie hätten ja nicht herein kommen brauchen, dann würde sie jetzt noch leben. Vielleicht zumindest. Wenn es dunkel wurde kamen nämlich die Menschenfresser aus ihren Löchern gekrochen. Sicher, sie waren auch Tags unterwegs, aber Nachts waren sie noch viel schlimmer.
Seine Worte entlockten ihr ein leises Grummeln: "Droh du mir noch einmal und ich mache es langsam und schmerzvoll.." erwiderte sie mit fester Stimme. Innerlich bebte sie, zitterte und explodierte beinahe.
Ihre Gedanken überschlugen sich, ihre Atmung ging schnell, während sie spürte, wie der Körper der jungen Frau vor ihr schwerer und schwerer wurde, weil sie immer weniger von ihrem Gewicht trug, sondern sich mehr und mehr gegen Solveig lehnte. Diese hielt ihr noch immer das stumpfe Messer an die Kehle - seinen Zweck würde es dennoch erfüllen, daran zweifelte die Blondine nicht.
Als er allerdings meinte, dass das seine Schwester war, seine Stimme brach und sie so etwas wie Verzweiflung in seinen Augen ablesen konnte kamen erste Zweifel in ihr auf. Hatte sie hier gerade einen Fehler begangen? Innerlich schüttelte sie energisch den Kopf. Nein, das hatte sie nicht. Sie wollte nur überleben. Sie wollte nicht sterben, genauso wenig wie er oder seine.. Schwester, deren Atem rasselnder wurde. "Komm nicht näher.." drohte sie also nochmal, alleine aus dem Grund schon, dass er gerade ziemlich ernst geklungen hatte in seiner Drohung "Ist hier noch wer anders im Haus? Hast du sonst noch jemanden bei dir?" forschte sie noch immer mit fordernder, fester Stimme nach, ließ sich nichts von der Unruhe anmerken, die in ihr herrschte.