Lucie

Jax konnte eindeutig mehr als gut küssen. Aber ich war mir nicht sicher, ob es sich richtig oder falsch anfühlen sollte, vor allem deshalb, weil es sich doch ziemlich gut anfühlte. Und trotzdem war er mein bester Freund. Auf der anderen Seite hatte es schon immer ein wenig wehgetan, wenn er sich an irgendeine Andere rangemacht hatte oder die ihm schöne Augen gemacht hatte.
Gut so, dass er sich dann doch ein wenig von mir löste, weshalb ich den Moment nutzte und die Augen schloss, einmal tief durchatmete. Wobei ich dann doch wieder nach einigen wenigen Sekunden zu ihm aufschaute, direkt in seine grünen, aufmerksamen Augen. Ich biss mir kurz ein wenig nervös auf die Unterlippe, ehe ich wieder davon abließ und auch meine Hände von seinem Nacken sachte auf seine Schultern wandern ließ, wo ich sie erst einmal auch ruhen ließ. "Ich hätte nie gedacht, dass du.. ich meine.." Okay, tief durchatmen, Lucie. "..dass du das tun würdest" gab ich schließlich leise von mir und zuckte leicht mit den schmalen Schultern.

Lucie

Keine Ahnung was ich nun sagen sollte. Ich hätte wirklich niemals gedacht, dass er das tun würde, schon gar nicht jetzt. Eigentlich hatte ich mich nur auf den Abend gefreut, darauf, ein wenig Zeit mit meinem besten Freund verbringen zu können, aber stattdessen war es darauf hinausgelaufen, dass er mich plötzlich geküsst hatte. Und jetzt konnte ich erst recht an gar nichts anderes mehr denken. Dieser Kuss hatte sich in meinem Bewusstsein festgesetzt wie eine Zecke.
Dass Jax den Blick gesenkt hatte.. naja, irgendwie sah ihm das nicht wirklich ähnlich. Bereute er es? Schien fast so, aber ehrlich gesagt war ich auch froh, dass er noch keinen blöden Spruch losgelassen hatte. Trotzdem kam ein unangenehmes Gefühl in mir hoch- ich hatte mir immer mehr Beachtung von ihm gewünscht. Jetzt hatte ich sie und es fühlte sich mehr als seltsam an, wobei es sich auf der anderen Seite wirklich auch wahnsinnig gut angefühlt hatte. Als der junge Mann sich schließlich von mir löste, zog auch ich meine Hände von ihm zurück, nur um sie dann um meinen schlanken Körper zu schlingen, um den viel zu großen Pullover von Jax, den ich trug, während meine blauen Augen auf den grünen Augen von Jax ruhten. Seine letzten Worte verpassten mir dann allerdings doch einen Stich. Er brauchte den Satz nicht weiter auszusprechen, da wusste ich schon, was er meinte. Ob wir den Kuss einfach vergessen konnten, die ganze Situation gerade. Ob wir einfach so darüber hinwegsehen konnten. Das war es doch, was er gemeint hatte, oder nicht? Plötzlich fühlte sich meine Kehle staubtrocken und wie zugeschnürt an. Ich trat ebenfalls einen Schritt zurück, senkte den Blick. "Vielleicht ist es besser, wenn ich jetzt gehe.." murmelte ich leise, schon fast ein wenig zu leise, ehe ich doch eilig aus der Küche und zur Haustür ging- völlig egal, dass meine Klamotten noch im Bad der Familie meines besten Freundes lagen.

Lucie

Ich wollte gerade die Haustür öffnen, als ich Jax' Hand an meinem Handgelenk spürte und wie er leicht daran zog, mich dazu zwang stehenzubleiben. Mit leicht zusammengepressten Lippen drehte ich mich zu ihm um, schüttelte seine Hand aber ab, während ich versuchte seinen Worten aufmerksam zuzuhören. Er hatte schon irgendwie recht, wir waren beste Freunde und ich wollte das genauso wenig aufgeben wie er.
"Und was schlägst du jetzt vor?" wollte ich mit leicht bebender Stimme von ihm wissen, schaute ihn mit meinen blauen Augen an. "Es einfach vergessen? Vielleicht kannst du das, ich kann es jedenfalls nicht einfach mal so eben vergessen, als wär' nie was gewesen!" Sollte er doch seiner blöden Tussi in dem Café weiterhin in den tiefen Ausschnitt glotzen! Oder weiß Gott welcher aufgetackelten Tussi!

Lucie

In mir herrschte ein absolutes Gefühlschaos. Ich hatte keine Ahnung, wo mir der Kopf stand, denn auf einmal war alles so kompliziert geworden, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Und die Worte meines.. ja, was war er denn nun? Egal. Jedenfalls waren Jax' Worte nicht gerade hilfreich.
"Glaubst du ich will, dass das zwischen uns steht? Außerdem hab ich selbst keine Ahnung, was du jetzt machen sollst oder was ich machen soll.. Du.." ich stockte kurz und holte tief Luft, während meine Stimme nun doch merklich bebte und mir nun noch unwohler in meiner Haut war als eh schon. "Du hast einfach keine Ahnung, weißt du das?"

Lucie

Gott, wie konnte er nur so.. dämlich sein? Hatte er überhaupt Augen im Kopf? Benutzte er eigentlich jemals seinen Verstand?! Klar hatte er Augen im Kopf und seinen Verstand, aber wahrscheinlich nur um.. Ich schüttelte diese Gedanken mit einem imaginären Kopfschütteln ab, bevor ich den jungen Mann mit meinen blauen Augen ansah und einmal tief durchatmete.
"Weißt du eigentlich, wie sehr es wehtut, wenn wir zusammen unterwegs sind und du jedem dahergelaufenen Mädchen in den Ausschnitt glotzt oder ihnen auf den Arsch gaffst? Ich weiß, du bist beliebt an der Schule und nicht nur da, aber.." ich führte diesen Satz nicht weiter aus, konnte aber auch nicht verhindern, dass mir die erste Träne über die Wange kullerte. "Ich warte schon seit gefühlten Ewigkeiten darauf, dass mir vielleicht mal ein ganz netter Kerl über den Weg läuft, während du nur wenige Häuser von mir entfernt wohnst und ich dich schon seit Wochen verdammt nochmal nicht mehr aus dem Kopf rausbekomme! Und du.. du merkst nichtmal irgendwas, stattdessen schleppst du ein Mädchen nach dem anderen ab!"

Lucie

Ja, jetzt war die Katze aus dem Sack. Und um ehrlich zu sein fühlte ich mich nun nur noch beschissener, erst recht, als ich die Reaktion von Jax sah, wie er mich so geschockt aus seinen grünen Augen anschaute und sich noch nicht einmal regte. Dass er dann auf einmal zu mir kam, mir die Träne von der Wange wischte und mich dann in seine Arme zog.. Das machte es nicht besser. Denn spätestens jetzt konnte ich das leise Schluchzen nicht mehr unterdrücken, das sich schon die ganze Zeit einen Weg durch meine Kehle und hinaus hatte bahnen wollen. Und genauso wenig konnte ich verhindern, dass mir die Tränen nun regelrecht über die Wangen flossen. Trotzdem barg ich mein Gesicht einen Moment an seiner Brust, sodass sein Shirt durch meine Tränen leicht feucht wurde, während ich meine Arme immer noch um meinen Körper geschlungen hatte, der mittlerweile leicht zitterte.
Sein Duft machte es aber nicht besser, sondern nur noch viel schlimmer. Ich löste meine Arme um meinen Körper, dann legte ich meine Hände an Jax' Brust und drückte ihn so von mir weg, sodass ich schlussendlich aus seiner Umarmung fliehen konnte. Hastig wischte ich mir mit dem viel zu langen Ärmel seines Pullovers über die Augen. "Ich hab es nicht wahrhaben wollen.. Aber ich kann es jetzt auch nicht mehr einfach so ignorieren, obwohl ich wünschte ich könnte es.." schluchzte ich, bevor ich die Haustür doch aufzog und dann regelrecht nach draußen stürzte, um nach Hause zu eilen.

Lucie

Zuhause angekommen musste ich erst einmal den Ersatzschlüssel unter Tränen unter einem Blumentopf hervorfischen, ehe ich die Tür aufschließen konnte. Meine Familie war genau wie die von Jax nicht daheim, was in dem Moment vielleicht auch ganz gut war. Und glücklicherweise lag immer ein Ersatzschlüssel parat, sonst hätte ich jetzt sehen können wie ich ins Haus kam. Mein eigener Schlüssel lag nämlich in meiner Tasche und die lagen genauso wie meine Klamotten bei Jax.
Schluchzend warf ich die Tür hinter mir ins Schloss, bevor ich mich in mein Zimmer verkroch und mich dort auf mein Bett schmiss, wo ich mein Gesicht in dem Kissen vergrub. Immerhin konnte ich die Tränen nach einigen Minuten stillen- dummerweise stieg mir dann wieder der Duft von Jax in die Nase. Erst glaubte ich ja, dass er hergekommen war, aber wie hätte er auch schon reinkommen sollen- außerdem trug ich seine Klamotten, weshalb da logischerweise auch sein Geruch drin festhing. Hektisch stand ich wieder auf und riss mir seine Klamotten regelrecht vom Leib, schlüpfte in ein paar frischer Klamotten von mir selbst und verkroch mich dann wieder in mein Bett. Hatten wir ja echt wundervoll hinbekommen.. nicht nur, dass mich diese ganze Geisterscheiße schon genügend an die Nerven gegangen war, nein, Jax hatte mich auch noch küssen müssen und damit in mir eine viel zu große Lawine an Hoffnung in mir losgetreten, dass er vielleicht dasselbe fühlen könnte. Tat er aber nicht.